Finanzamt / Betriebsprüfung / Verfahrensrecht
Höhe der Nachzahlungszinsen seit 2015 nicht mehr verfassungsgemäß
Die Zinsen für Steuernachzahlungen betragen für jeden Monat 0,5%. Allein bei der steuerlichen Betriebsprüfung vereinnahmte der Fiskus im Bereich der Zinsen in den letzten Jahren mehr als 2 Mrd. Euro. Mit seinem Urteil vom 9.11.2017 (III R 10/16) hatte der BFH für einen Zinsbescheid aus dem Jahr 2013 entschieden, dass die Höhe der Nachforderungszinsen (§§ 233a, 238 Abs. 1 AO) weder gegen das Grundgesetz noch gegen das Übermaßverbot verstößt.
Nunmehr kommt die Kehrtwende! Für Verzinsungszeiträume ab dem Jahr 2015 zweifelt der BFH an der Verfassungsmäßigkeit von Nachzahlungszinsen (Beschluss vom 25.4.2018, IX B 21/18). Konsequenz ist, dass der BFH die Aussetzung der Vollziehung gewährt hat.
Praxis-Beispiel:
Das Finanzamt setzte die von den Antragstellern für das Jahr 2009 zu entrichtende Einkommensteuer zunächst auf 159.139 € fest. Im Anschluss an eine Außenprüfung änderte das Finanzamt am 11.11.2017 die Einkommensteuerfestsetzung auf 2.143.939 €. Nachzuzahlen war eine Steuer von 1.984.800 €. Das Finanzamt verlangte zudem in dem mit der Steuerfestsetzung verbundenen Zinsbescheid für den Zeitraum vom 1.4.2015 bis 16.11.2017 Nachzahlungszinsen in Höhe von 240.831 €. Die Antragsteller begehren die Aussetzung der Vollziehung hinsichtlich des Zinsbescheids, da die Höhe der Zinsen von 0,5% für jeden Monat verfassungswidrig sei. Der BFH hat dem Antrag stattgegeben und die Vollziehung des Zinsbescheids in vollem Umfang ausgesetzt.
Der BFH hat wegen der Höhe der Zinsen für Zeiträume ab dem Jahr 2015 schwerwiegende Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit von § 233a AO in Verbindung mit § 238 Abs. 1 Satz 1 AO. Der BFH begründet dies mit der realitätsfernen Bemessung des Zinssatzes, die den allgemeinen Gleichheitssatz nach Artikel 3 Abs. 1 des Grundgesetzes verletze. Der gesetzlich festgelegte Zinssatz überschreite den angemessenen Rahmen erheblich, da sich ein niedriges Marktzinsniveau strukturell und nachhaltig verfestigt habe.
Der Sinn und Zweck der Verzinsung besteht darin, den Nutzungsvorteil wenigstens zum Teil abzuschöpfen, den der Steuerpflichtige dadurch erhält, dass er während der Dauer der Nichtentrichtung über eine Geldsumme verfügen kann. Dieses Ziel sei wegen des strukturellen Niedrigzinsniveaus im typischen Fall für Jahre ab 2015 nicht erreichbar, sodass die Zinshöhe inzwischen realitätsfern sei. Es bestehen außerdem schwerwiegende verfassungsrechtliche Zweifel, ob der Zinssatz gegen das Übermaßverbot und damit gegen Artikel 20 Abs. 3 des Grundgesetzes verstoße. Die realitätsferne Bemessung der Zinshöhe wirkt in Zeiten eines strukturellen Niedrigzinsniveaus wie ein Zuschlag auf die Steuerfestsetzung, was nicht zulässig sei.
Der Gesetzgeber ist im Übrigen verfassungsrechtlich verpflichtet zu überprüfen, ob die ursprüngliche Entscheidung zur Höhe von Nachzahlungszinsen in § 238 Abs. 1 Satz 1 AO auch bei dauerhafter Verfestigung des Niedrigzinsniveaus aufrechterhalten werden kann oder die Zinshöhe herabgesetzt werden muss. Dies habe er selbst auch erkannt, aber gleichwohl bis heute nichts getan, obwohl er vergleichbare Zinsregelungen in der Abgabenordnung und im Handelsgesetzbuch dahin gehend geändert habe.
Praxis-Tipp
Gegen die Festsetzung von Nachzahlungszinsen für Zeiträume ab 2015 sollte unbedingt Einspruch eingelegt werden. Damit die Zinsen nicht bezahlt werden müssen, sollte gleichzeitig die Aussetzung der Vollziehung beantragt werden. Zur Begründung reicht ein Hinweis auf den o.a. BHF-Beschluss aus.